Männerbilder: Nicht nur Soldaten!

4 x 400 m-Staffel: Gewinner der Bronzemedaille der Olympischen Spiele 1936 in Berlin (v.l.n.r. v. Stülpnagel, Voigt, Harbig, Hamann)

 Die Geschichte jeder (ur)adeligen Familie wurde neben ihren Gütern in der Regel bis ins 20. Jahrhundert durch ihre männlichen Vertreter bestimmt. Nur im Mannesstamme wurde der Familienname weitergegeben. Nur die männlichen Berufe spielten eine Rolle. Nur ihre Taten füllten die jeweiligen Familienarchive.

Über Jahrhunderte war der Weg adeliger Männer vorbestimmt: für den Ältesten ein Leben als Gutsherr, für die Nachgeborenen in der Militär oder Beamtenlaufbahn. Erst die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, vor allem aber die Umbrüche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachten die Auflösung dieser Strukturen und damit einhergehend die Differenzierung der Berufs- und Lebenswege mit sich. Männer- und Frauenbilder unterscheiden sich in beruflicher Hinsicht zunehmend weniger.

Dafür ist die Familie v. Stülpnagel exemplarisch. Die Lebenswege sind jedoch individuell. Von den 150 männlichen v. Stülpnagel aus den ersten 15 Generationen werden einige sehr unterschiedliche Persönlichkeiten kurz charakterisiert, die „Spuren“ hinterlassen haben und noch durch Objekte „sichtbar“ gemacht werden können. Schlaglichtartig werden typische Lebensläufe, Ausbrüche aus den vorgezeichneten Bahnen sowie Wege „aus der Uckermark in die Welt“ gezeigt.

Angefangen von den ersten nachweisbaren Namensträgern und den Lehensmännern werden Politiker und Beamte und auch einige ungewöhnliche Berufe vorgestellt. Der Überlieferung entsprechend nehmen die Militärangehörigen den breitesten Raum ein. Es gab allein elf Generale in der Familie v. Stülpnagel.

Erste Stülpnagel und Lehensmänner

Während die ersten 1321 erwähnten „Duo Stulpenagel“ in Schönwerder, nördlich von Prenzlau, noch als Ritter oder sonstige Kriegsmannen erschienen, wurden ihre Nachfahren schon als Lehensmänner überliefert, d.h. sie bekamen gegen  entsprechende Leistung von ihrem Lehensherren – in der Regel dem Kurfürsten – Lehen in Form von Höfen mit allen „Gerechtigkeiten“ wie Äcker, Wälder, Wiesen, Wasser und Fischerei; sie lebten von deren Verpachtung an unfreie Vasallen, sprich Bauern. Als Lehensnehmer war man zwar Besitzer, Eigentümer blieb jedoch der Lehensherr.

Mit dem Lehen waren aber auch Pflichten gegenüber dem Lehensherrn verbunden, wie z.B. die Gestellung von Pferden und Soldaten für die kriegerischen Auseinandersetzungen des Kurfürsten.

Die frühen „Stülpnagel-Lehensmänner“ verfügten nur über kleine Besitzungen in Lindhorst, Taschenberg,Papendorf und Basedow. Der in der Mitte des 15. Jahrhunderts agierende Heyne (III) konnte den Besitz erheblich erweitern durch Anteile in Trebenow, Werbelow, Papendorf, Milow, Lübbenow und Hetzdorf. Aus dieser frühen Zeit sind viele Erbstreitigkeiten zwischen den jeweiligen Nachfahren der Familie v. Stülpnagel überliefert.

Kirche von Schönwerder 2021
Landbuch der Mark Brandenburg von 1375

Beamte

 Auch wenn Johannes (v.) Stulpenagel (V) in Kummerow bereits 1357 als Vogt ein Repräsentant administrativer Betätigung war, dauerte es noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, ehe einige v. Stülpnagel eine politische Laufbahn der militärischen vorzogen: im Machtzentrum Berlin in Regierungskreisen (Ferdinand, XI/72,  1787-1837), als Landrat in der Uckermark (Carl, XI/84, 1788-1875), im Kreis Zauche-Belzig (Rudolf, XII/104, 1831-1900) oder im diplomatischen Dienst (Paul Joachim, XV/283, 1927-2019).

Ferdinand (XI/72, 1787-1837)

An Ferdinand kann die typische Laufbahn eines Beamten im 19. Jahrhundert nachvollzogen werden: Nach dem abgeschlossenen Jurastudium 1810 und einer anschließenden freiwilligen Unterbrechung (Armeezeit) folgten berufliche Stationen als Regierungsassessor und Regierungsrat in Potsdam, als Mitvorsitzender der Domänen- und Forstabteilung in Frankfurt/Oder, als Geh. Finanzrat und Oberfinanzrat im Finanzministerium in Berlin sowie als Mitglied des Staatsrats, ehe er in seiner Funktion als Regierungspräsident und Präsident der Generalkommission 1837 starb.

Und Paul Joachim durchlief die typische Laufbahn als Diplomat im 20. Jahrhundert: Nach dem Abitur 1947 studierte er Religions- und Islamwissenschaften und  promovierte anschließend. 1957 begann er als Presseattaché in der Kommission der EG in Brüssel (damals noch „EWG“) und an den Botschaften in Addis Abeba und Teheran. Es folgte die Ernennung zum Botschafter in Mali, später zum Leiter der Bonner Vertretung bei der Abrüstungskonferenz in Genf und zum Leiter der  Wirtschafts- und Handelsabteilung in der Botschaft in Moskau. Nach einer  Vertretung des Botschafters in Rabat erhielt Paul Joachim 1991 das Agrément als  Botschafter in Äthiopien, ehe er 1992 pensioniert wurde.

Paul Joachim (XV/283, 1927-2019) mit Botschafter K. v. Schubert und Kaiser Haile Selassie I. (von rechts)

Offiziere (ohne Generale)

Die meisten Männer der Familie v. Stülpnagel ergriffen bis ins 20. Jahrhundert den Soldatenberuf. Davon schlugen 68 die Offizierslaufbahn (ab Leutnant) ein. Die Familiengeschichte besteht deshalb auch zum größten Teil aus einer sehr genauen Wiedergabe der jeweiligen militärischen Laufbahn, einschließlich  Regimentszugehörigkeit und Ehrenzeichen. Ursache war neben der Tradition, dass die Zweit- und Nachgeborenen der Gutsbesitzer – wenn sie nicht Beamte werden wollten – kein Angestelltenverhältnis eingehen durften.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor der Offiziersberuf an Attraktivität; akademische Berufe boten mehr Perspektiven. So gibt es nur einen lebenden Namensträger, der, wenn auch nur für drei Jahre, den Beruf des Soldaten gewählt hatte.

Generale

Vater und Sohn - Alter Garnisionfriedhof in Berlin

Dass eine alte preußische Adelsfamilie einige Generale in ihren Reihen hat, ist fast selbstverständlich, gab es doch umgekehrt bis zum Zweiten Weltkrieg kaum nichtadelige Generale.

Mit insgesamt elf Generalen (Generalmajor, Generalleutnant, General der Infanterie, General der Flieger) hat die Familie v. Stülpnagel das militärische Geschehen ziemlich umfangreich beeinflusst, allein in der Zeitspanne von 1845–1945 mit neun Generalen. Fünf von ihnen stammten in direkter Linie selbst von einem General ab.

Dass fünf Generale zwischen den beiden Weltkriegen gleichzeitig aktiv waren, führte immer wieder, nicht nur
bei Historikern, zu Verwechselungen bzw. Vermutungen: Vielleicht wurde Otto (XIII/168, 1878-1948) 1942 als Militärbefehlshaber von Frankreich gerade deshalb durch Carl-Heinrich (XIII/216, 1886-1944) ersetzt, um Ottos Ausscheiden möglichst geräuschlos vonstattengehen zu lassen?

Die Lebenswege der Generale spiegeln das Zeitgeschehen anschaulich wider – weit über die militärischen Verhältnisse hinaus.

Infanterie-Regiment v. Stülpnagel (5. Brandenburgisches) Nr. 48

Musikkorps des Infanterie-Regiments „v. Stülpnagel“ (1896)

Am 5. Mai 1860 wurde das 5. Brandenburgische Infanterie-Regiment Nr. 48 in Cüstrin aufgestellt. Ferdinand v. Stülpnagel (XII/124, 1813-1885) wurde 1875 dessen Chef und blieb in dieser Position bis zu seinem Tod. Mit einer Kabinettsorder vom 27. Januar 1889 wurde das Regiment umbenannt:

„Ich will das Andenken an den General der Infanterie v. Stülpnagel und seine besonders im Feldzuge 1870/71 in den Schlachten bei Vionville-Mars la Tour und bei Beaune la Rolande hervorgetretene Verdienstlichkeit  dadurch ehren, und in Meiner Armee lebendig halten, daß Ich dem Regimente, an dessen Spitze Mein in Gott ruhender Herr Großvater, des Kaisers und Königs Wilhelm I Majestät ihn gestellt hatte, seinen Namen  verleihe. Ich bestimme deshalb, daß das 5. Brandenburgische Infanterieregiment Nr. 48 in Zukunft die Benennung: Infanterie-Regiment v. Stülpnagel (5. Brandenburgisches) Nr. 48 führt. Das Regiment wird in diesem Beweise Meiner Gnade eine Anerkennung seiner tapferen und vorwurfsfreien Haltung und einen Ansporn erblicken, Mir mit gleicher Treue und Hingebung weiter zu dienen.“

gez. Wilhelm II
(Familiengeschichte 1938, S. 138)

Nach dem Zweiten Weltkrieg hörte das Regiment auf zu existieren. Es gab immer eine besondere Beziehung zwischen dem Regiment und der Familie v. Stülpnagel. So war z.B. Joachim v. Stülpnagel (XVI/232,  1880-1968) Ehrenpräsident des Berliner Vereins alter Regimentskameraden.

Ungewöhnliche Berufe

Einige Berufe von männlichen v. Stülpnagel waren eher untypisch und begannen  häufig neben oder nach einer militärischen Laufbahn, wenn diese von manch einem nicht mehr fortgesetzt werden konnte, wollte oder durfte. Mit ihren „neuen Tätigkeiten“ haben sie dann eher ungewöhnliche Lebenswege eingeschlagen und  manch Interessantes der Nachwelt hinterlassen.

So brachte es Friedrich (XI/98, 1786-1865) als Kartograph zu einer gewissen Berühmtheit, nachdem er wegen Taubheit 1787 Abschied vom Militär nehmen musste. Als ein Beispiel für jemanden, der sich in immer neuen Berufen versuchte, steht Otto Gottlob (XIII/190, 1885-1956), der aufgrund von  Schicksalsschlägen gleich mehrmals neu anfing.

Auch wenn im Kaiserreich einige v. Stülpnagel ihre „Generalskarriere“ als Pagen bei Hofe begannen, musste Ferdinand Wolf (XVI/230, 1873-1938) stets um  Anerkennung in der Familie ringen, weil er zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine „Anstellung bei Hofe“ angenommen hatte.

Und der Lebensweg von Claus (XV/286, 1904-1990) verlief ungewöhnlich und überraschend: als Sohn einer jüdischen Mutter wanderte er 1936 noch rechtzeitig aus und kam dann als amerikanischer Soldat im Zweiten Weltkrieg wieder in sein Heimatland zurück.

Blickt man auf die heutige Generation, sind fast alle Berufe vertreten. Besonders häufig sind Männer Computerfachleute geworden – ob das Zufall ist oder dem  Trend der Zeit entspricht?